Vom klassischen Podcast zum Video-Cast

Liebe Podcasterinnen und Podcaster, ihr müsst jetzt ganz tapfer sein, denn Audio allein reicht in Zukunft nicht mehr aus, wenn es nach Spotify geht. Videocasts sind jetzt der heiße Scheiß.

Saruul Krause-Jentsch, Head of Podcast beim Musikstreaming-Dienst Spotify, sagte in einem Interview mit dem Onlinemarketing-Magazin, dass Video-Podcasts künftig der neue Standard für das Format werden sollen.

Tja, aus die Maus. Vorbei die gemütlichen Stunden, in denen man entspannt den Stimmen lauschte, die einem etwas erzählten, denn jetzt gibt es geballte Action in Bild und Ton.

Ihr kennt sicher die typische Handlung eines Horrorfilms: Eine Familie zieht in ein Haus ein, es fängt an zu spuken, die ganze Familie schleicht stundenlang mit Schweißperlen auf der Stirn durch alle Räume, vorwiegend nachts, und kurz vor Ende des Films sieht man kurz, wer da herumgeistert. Total langweilig.

Podcaster*innen, die in ein Mikrofon sprechen, sind auf visueller Ebene ungefähr so spannend wie die Familie in einem Horrorfilm. Man wartet die ganze Zeit darauf, dass etwas passiert. In einem Horrorfilm steigt der Spannungsbogen zumindest gegen Ende des Films dramatisch an, aber hier sieht man nur Podcaster*innen in ein Mikrofon sprechen. Da schlafen nicht nur die Augen, sondern auch die Füße ein.

Aber auf YouTube funktioniert das doch schon lange und was ist eigentlich dein Problem?

Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Für mich sind Podcasts und Vodcasts vollkommen unterschiedliche Formate. Dass gerade die großen Player im Bereich Video- und Audiostreaming jetzt herumlaufen und Vodcasts als die Weiterentwicklung von Podcasts anpreisen, halte ich für völligen Bullshit. In erster Linie geht es den Anbietern meiner Meinung nach darum, möglichst viele Kreative auf ihren Plattformen in Geiselhaft zu nehmen.

Ein Podcast kann vollkommen unabhängig und in Eigenregie auf die Beine gestellt werden. Dafür reicht einfacher Webspace. Ganz anders sieht es bei einem Vodcast aus. Videoinhalte benötigen unglaublich viel Speicherplatz. Hinzu kommt das ganze Encoding für die verschiedenen Formatgrößen. Die großen Player haben diese Kapazitäten, die unabhängige Vodcaster*innen gar nicht abbilden, geschweige denn finanzieren können. Im Fediverse gäbe es dafür eine Lösung, aber das ist ein anderes Thema, auf das ich sicher in einem meiner zukünftigen Beiträge eingehen werde.

Außerdem sind Vodcasts viel aufwendiger zu produzieren. Ich halte es für fatal, dass Vodcasting jetzt als die neue Generation von Podcasting bezeichnet wird, was überhaupt nicht stimmt. Dies könnte viele Menschen davon abhalten, überhaupt erst mit dem Podcasting zu beginnen.

Man möchte auch gerne den Eindruck erwecken, dass fast jedes Podcast-Format das Potenzial zum Vodcast hat. Alles so toll, viel mehr Nähe zu den Podcastenden, komplizierte Themen mithilfe von Einspielern verständlicher machen, durch Untertitel weltweit verstanden werden und damit die Reichweite erhöhen etc. Und eigentlich ändert sich außer dem höheren Produktionsaufwand nicht viel. Oft wird argumentiert, dass man ja nicht auf den Bildschirm schauen muss, wenn man nur zuhören will.

Dass das Herunterladen oder Streamen von Vodcasts im Vergleich zu Podcasts sehr viel mehr Traffic und Energie verbraucht, scheint dabei keine Rolle zu spielen. Und wenn im Vodcast plötzlich auf eine Einblendung verwiesen wird, ist es mit dem entspannten Zuhören schnell vorbei, weil man natürlich sehen möchte, worauf sich das Gesagte bezieht.

Wenn Podcaster*innen sich jetzt gezwungen sehen, unbedingt auch als Vodcast auf einer der großen Plattformen stattfinden zu müssen, werden wir noch öfter Familien durch Geisterhäuser schleichen sehen, um gelangweilt darauf zu warten, dass visuell etwas Spannendes passiert. Vielleicht kann man zur Belustigung ja mal einen Mikrofonständer umfallen lassen oder so.

Podcasts waren schon immer ein unabhängiges Medium. Und heute ist es wichtiger denn je, die Plattform zu kontrollieren, auf der man seine Inhalte veröffentlicht. Das geht mit Text, mit Bild und auch mit Audio. Es geht sogar mit Video, auch wenn das komplizierter ist. Und wenn man Teil dieser plattformkapitalistischen Gefängnisse sein will, weil Reichweite und so, dann geht das im Audiobereich, zumindest jetzt noch, auch über die eigene Plattform. Bei Vodcasts liefert man sich den großen Playern komplett aus. Und das ist definitiv keine gute Idee.

Wir müssen weg von den milliardenschweren Konzernen, die aus Gier diese Welt zu einem schlechteren Ort gemacht haben. Und wir müssen weg von Unternehmen, die Kreative ausbeuten, um maximalen Profit draus zu schlagen.

Quelle Interview: Onlinemarketing Magazin
Bildquelle Startseite: KI – Microsoft Creator

Andreas

Audio- und Technikfreak, interessiert sich für Atmo, Sounddesign, Synthesizer, Filmscore, Podcasts, Netzkultur, FOSS, Gaming sowie für wissenschaftliche und gesellschaftliche Themen. Auch hier auf fedispace.de zu finden.

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